Hach, wie jung und naiv ich 2007 doch war. Ich kritzelte meine
Figuren an den Rand des Collegeblocks, während ich in den Vorlesungen und Proseminaren
der Uni saß. Dann begann ich zuhause, Geschichten zu ihnen zu erfinden, ihnen Charakter
zu verleihen und es fühlte sich an, als käme es aus den unendlichen Weiten des Universums
direkt zu mir geflogen. Alles passte, fügte sich, wurde anschließend noch ein bisschen
passgenauer gemacht. Sechs Monate später blickte ich auf mein erstes Manuskript
und war dermaßen stolz, dass ich vor Glück fast platzte. Ich hatte einen Roman geschrieben!
Und noch besser: Es war der erste Teil von Fünfen!
Jetzt musste ich ihn nur noch Freunden schicken. Formatierte
ihn unwissend in ein PDF und schon fühlte es sich an wie ein EBook (die damals noch
nicht gängig waren, btw … Gott, bin ich alt).
Freunde gaben mir eine positive Resonanz. Hach, der Traum ging
weiter. Ich schrieb bereits an Teil 2 und es fühlte sich noch passender an.
Dann trat ich in die Verlagsbranche ein.
Nicht so, wie man sich das als junger Naivling vorstellt. Ich
dachte, ich schicke das mal an ein paar Verlage und irgendeiner wird zusagen, mein
Talent erkennen und dann hab ich bald mein eigenes Hardcover in der Hand. Wunderschöne
Vorstellung, oder? Ja. Zu schön, um wahr zu sein. Echt jetzt.
Durch Recherche im Netz kam ich dann auf den Trichter, doch eher
eine Agentur zu benötigen. Die würde mich an die wirklich großen Verlage vermitteln
können. Während ich also fleißig Teil 3 schrieb, keine Ahnung von Normseiten hatte,
keine Ahnung von irgendwas überhaupt hatte, machte ich mich noch an einem anderen
Werk zu schaffen, dass dann ein Einteiler werden sollte. Weil ne Buchreihe war nun
mal schwer zu vermitteln, wie ich dem Netz entnahm.
Das Buch war schnell heruntergeschrieben, ich war so im Flow,
das nichts und niemand mich stoppen konnte. Inzwischen war 2010 und ich suchte Agenturen
wie verrückt.
Ein paar antworteten sogar. Auf andere warte ich heute noch.
(Ich glaube langsam, die haben kein Interesse. 😉 ) Nachdem ich die schwarzen Schafe ausgemustert
hatte (danke an die Autoren, Verleger und Agenturen, die mir beibrachten, was schwarze
Schafe in der Branche sind!), war da keiner mehr, der mein Manuskript wollte.
Und ein paar hatten sehr nette Absagen verschickt. Die da lauteten
ungefähr: »Leider wüssten wir für ihr Werk keinen passenden Verlag, aber melden
Sie sich gerne, wenn sie etwas haben, das diesem und jenem Genre entspricht.« Wow,
okay, das klang gut.
Dann waren da allerdings noch Absagen wie diese: »Setzen Sie
sich bitte erst einmal mit dem Schreiben auseinander.« »Treten Sie Foren bei und
gucken, was Ihre Kollegen machen.« »Sie können nicht schreiben.« »Sie vertauschen
ständig die Perspektiven.«
Das tat weh. Sehr. Und brachte mich ins Wanken.
Ich überprüfte mein Manuskript auf all diese Aussagen. Gerade
die letzte war ja etwas, das ich ändern könnte, allerdings fanden weder ich noch
andere den Fehler in der letzten Aussage. Es brauchte viel Zuspruch von Freunden
und Bekannten, ehe die Tränen über diese Aussagen getrocknet waren. So sollte mein
glorreiches Schriftstellerdasein doch gar nicht enden. Ich wollte vom Schreiben
leben!
Jaja, der junge Naivling. Die inzwischen über 30jährige blickt
zurück und lächelt mild.
Ich machte ein Schreibstudium an einer Fernschule, schloss mit
1 ab. Es folgten noch mehr Absagen (normale, freundliche, wieder nicht sonderlich
nette und auch gar keine, die ich dennoch jetzt mal als Absage werte). Es war niederschmetternd.
Dann sah ich: Oh, andere Autoren plotten. Wahrscheinlich mache
ich das verkehrt. Ich schreibe falsch, klar! So kann ich das verbessern.
Ich plottete akribisch. Und hatte keine Lust mehr zu schreiben.
Das war laaaaaaangweiliiiiiiig. Schreibflaute.
Lockerer plotten. Nur jedes Kapitel anreißen. Klar, klappt bestimmt.
Klappte auch! Eine Zeit lang. Dann: Schreibflaute.
Tipps und Tricks von Kollegen währten leider nie lange, auch
wenn ich immer dachte, ich hätte die Lösung gefunden.
Ich schrieb, schrieb, schrieb. Gegen jede Flaute an. Gegen jede
Blockade. Veröffentlichte bei Verlagen, eine Kurzgeschichte nach der anderen ging
in eine Anthologie ein. Verlage ließen mich fallen, etc (dazu die anderen Artikel
lesen 😉), ich schrieb weiter. Holte mir Ideen und Motivation
von anderen Kollegen.
2015 der Knall mit Verlag Alpha.
Ich schrieb weiter, als wäre nichts. Obwohl man über mich gesagt
hatte, dass ich nie wieder ein Buch veröffentlichen würde – zumindest nicht in einem
Verlag.
Dann 2018 der große Knall mit Verlag Beta.
Schreibblockade. Rien ne va plus.
Dann saß ich da mit meinem Talent. Derweil sah ich zu, wie meine
Kollegen Kraft aus dem Schreiben schöpften, alles gaben, es ihnen scheinbar leicht
fiel, wieder auf die Beine zu kommen oder nie gefallen waren. Die das Wort Blockade
nicht kannten. Die nie eine Flaute hatten, ihre 10 Manuskripte im Jahr ablieferten.
Und ich stellte fest (11 quälende Jahre nach den Kritzeleien
an meinem Collgeblockrand), dass ich nicht schreiben konnte. Dass es mir keinen
Spaß mehr machte. Dass ich leer war, meine Ideen verbraucht und ich es nie schaffen
würde.
Da ich chronisch krank zuhause festgebunden bin, war mein einziges
Hobby, das ich zum Beruf machen wollte, dahin. Aus der Traum.
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Aber!
Wenn ich meine Herzensreihe noch einmal plotte …
Nein, das wurde nichts.
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Ich lasse los.
Es bringt nichts.
Es tut nur weh.
Ich will mich nicht länger so fühlen.
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2020
Ich hab gehäkelt. Eine ganze Decke in 4 Monaten. Ich hab meine
Katze bei Wind beruhigt, mich um die tränenden Augen meines Katers gesorgt, Zeit
mit dem alten Kaninchen verbracht.
Ich hab Freunde getroffen und geredet.
Überlegt, ob ich ins Coverdesign oder den Satz gehe (noch nie
gemacht, wird super, ich junger Naivling, ich).
Viel über mich selbst herausgefunden.
Verstanden, wie ich funktioniere.
Abstand gewonnen, von Kollegen (die ich dennoch mag) und Verlagen
(bei denen ich manche sehr gerne mag, andere wiederum gar nicht), mir inspirierende
Kollegen gesucht (und gefunden), Onlinespiele mit meinem besten Freund gezockt,
mit meiner Schwester Sam und Dean Winchester auf ihrer Reise begleitet, während
wir kosmetische Gesichtsmasken trugen, mit meiner besten Freundin Kaffee wie ein
Loch gesoffen, gleichzeitig lustige Videos geguckt und die Nägel lackiert (sie schwarz,
ich irgendwas mit bunt und Glitzer), mit meiner Familie gegessen, bis mir schlecht
war (Burger und Sushi sind das beste Food auf der Welt), Herr der Ringe zum xten
Mal geguckt, Infinity War und Endgame hintereinander geguckt und geflennt wie ein
Baby, neue Filme und Serien entdeckt, ausgemistet, für mich eingestanden und – nur
ab und an einen vorsichtigen Blick in die Verlagswelt geworfen.
Das. War. Sowas. Von. Nötig.
Elsa hatte recht. Let it go.
Denn es gibt sie.
Die akribischen Planer
Die vorher genau alles plotten, weil sie dadurch Motivation im
Schreibprozess erfahren und einfach einen Faden haben, an dem sie sich entlanghangeln.
Sie sind irritiert von Plotholes und verfluchen Plotbunnies gerne. Aber sie zieren
sich nicht, Kraft und Zeit ins Umplotten zu stecken, damit alles wieder richtig
sitzt.
Die Inspirationsschreiber
Die nur dann schreiben können, wenn sie sich danach fühlen. Sonst
geht nichts und alles fühlt sich madig an. Planen ist nicht ihr Ding im großen Sinne.
Es muss ich einfach richtig anfühlen. Von zu viel Geplane fühlen sie sich eingeengt
und dann geht das ganze Schreiben in eine Lustlosigkeit über.
Die Zerdenker
Die alles in ihre Einzelteile zerlegt haben müssen, damit sie
den Absatz, die Seite, das Kapitel schreiben können, weil es sonst keinen Sinn für
sie ergibt. Es muss nicht geplant, aber durchdacht sein, und sobald es nicht zerdacht
ist, fühlt es sich falsch an.
Die Flowschreiber
Die drauflos schreiben und mit jedem Wort wacher und genügsamer
werden, die unterwegs planen und Freude dabei empfinden. Jedoch brauchen sie eine
gewisse Zeit, ehe sie in den Flow kommen, landen dort aber meist schneller als andere
Schreiber.
Die Traumaschreiber
Die Sachen durch das Geschriebene in sich verarbeiten und dennoch
einen Roman produzieren wollen. Viel Persönliches fließt dort hinein. Am Besten
geht man sensibel mit dem Text um, denn zu harsche Kritik fühlt sich wie eine Kritik
an der eigenen Person an.
Die Suchtschreiber
Hauptsache schreiben, egal was, egal wann, los, sie brauchen
das. Ob in der Bahn oder dem Bus zum Brotjob, ob sie gerade unterwegs oder zuhause
sind, im Bett oder am Esstisch, es muss geschrieben werden. Überarbeiten ist nicht
so toll, fühlt sich stockend an, aber Schreiben ist geil.
Die Hochkonzentrierten
Die nur dann schreiben können, wenn absolute Ruhe um sie herrscht
und die leicht aus dem Konzept zu bringen sind. Ablenkung ist der Todfeind, Geräusche
zerstören die Stimmung, die sie jetzt nicht mehr richtig einfangen können. Gedanken
zerfließen schnell, dafür ist das tatsächlich eingefangene von ihnen gefühlt gehaltvoller.
Die Kakophonieschreiber
Die ihre Umwelt komplett ausblenden können, egal, was um sie
herum passiert, da sie in ihrem Text versinken. Alles ist vertraut, die Charaktere
sind die eigene Schöpfung, die man selbst gern als beste Freunde hätte. Die Haltestelle
wird gerne mal verpasst, andere Menschen und Gespräche spontan ausgeblendet, weil
nun kam gerade eine Idee, die notiert werden muss,
Die Musicalschreiber
Die ohne Musik schlichtweg nicht schreiben können und einen gewissen
Lärmpegel brauchen, um überhaupt loslegen zu können. Musik ist die Antwort auf jede
Frage, die sich ums Schreiben dreht. Klappt nicht? Anderes Lied. Klappt nicht? Andere
Band. Klappt nicht? Anderes Album. Klappt nicht? Es wird Zeit, das ein neues Musikgenre
erfunden wird!
Und was es auch gibt, womit ich lange gehadert habe, weil ich
es für mich selbst nicht erkennen wollte (danke, bester Freund 😊):
Nachteulen
Die am besten in der Nacht schreiben, wenn alles still ist, weil
sie dann zur Ruhe kommen.
Morgenlerchen
Die am Besten schreiben, wenn der Kopf noch nicht zum Denken
in der Lage ist.
Mittagsmöwen
Die ihre Inspiration dann kriegen, wenn sie Sonne am höchsten
steht und die Serotoninzufuhr zunimmt.
Nachmittagsspatzen
Die ihre Wortkrumen am Besten aufpicken, wenn alles um sie herum
in Feierabendstimmung verfällt.
Abendraben
Die nach dem Feierabend am Besten erstmal loslegen und schreiben,
bis sie zu Abend essen (oder eben nach dem Abendessen schreiben), weil dann die
Erlebnisse vom Tag besser verdaut werden können.
Die Rock-Around-The-Clock-Adler
Die einfach immer schreiben können, egal zu welcher Tages- und
Nachtzeit. Deren Konzentration sich eben immer auf das Manuskript richtet, ganz
gleich, was um sie herum passiert.
Es gibt sie alle (und wahrscheinlich noch sooo viel mehr). Und sie vermischen sich ineinander. Manche
sind Morgenlerchen und Abendraben, dazu Flowschreiber und Zerdenker. Andere sind
sowohl Nachmittagsspatzen als auch Nachteulen, die gerne akribisch plotten, aber
auch Inspiration brauchen, damit es richtig laufen kann.
Zu oft habe ich auch von Kollegen und Verlegern gehört, dass,
wenn man wirklich professionell arbeiten will als Autor, nur Schema A oder B passt,
sonst arbeitet man eben nicht professionell.
Da lege ich nun mein Veto ein.
Natürlich kann man seine Effizienz optimieren. Natürlich kann
man andere Schemata probieren. Und selbstverständlich kann man sich als Schriftsteller
wandeln. Die eigenen Bedürfnisse und Lebensumstände können dazu führen, dass man
vom akribischen Planer zum Flowschreiber wird und umgekehrt. Von der Nachteule zur
Morgenlerche.
Aber ich weiß auch für mich, dass mein Schreiben nicht funktioniert,
wenn ich mich in ein Schema presse, das mir schlichtweg nicht passt. Und ich will
das auch nicht mehr.
Ich vergleiche es gern mit einem Schuh oder einem Pullover, der
nicht der eigenen Größe oder dem Körperumfang entspricht.
Ist der Schuh zu groß? Ich schwimme in einer dunklen Höhle, der Fuß ist angestrengt
und ich fühle mich unwohl.
Pulli zu groß? Ich bin klein und versinke irgendwo in Stoff.
Schuh zu klein? Zehen tun weh, überall Druckstellen.
Pulli zu klein? Ich zupfe ständig überall an mir herum, damit
er am Platz bleibt und ich passe scheinbar nicht zu diesem Pulli.
Es ist unnötig. Wenn es nicht passt, passt es eben nicht. Man
muss sich nicht passend machen.
Genauso wenig wie ich meine Füße mal größer oder kleiner machen
kann oder meinen Oberkörper zwingen kann, jetzt bitte schmaler zu werden oder zu
wachsen. Stattdessen sage ich: Nein, der Schuh und der Pulli passen einfach nicht. Ich muss mir andere suchen, die mir entsprechen. Genauso wenig will ich mein Schreiben in eine Form pressen, die anderer
Leute Meinung nach professionell ist.
Als Autorin will ich hauptsächlich eins: Schreiben. Und das will
ich machen, wie es mir gut tut. Und nicht, wie es mich quält. Überarbeiten kann
ich immer noch wie ne Professionelle 😉 oder ich hole mir Hilfe (die sich jeder allein
schon wegen Betriebsblindheit holen sollte).
Lass los.
Kapitel 2 von Purlunas hat jetzt 18 Seiten. Innerhalb weniger
Tage. Ich bin glücklich und höchst zufrieden. Ich habe sogar zwei Kurzgeschichten
bei Verlagen eingereicht. So weit hab ich mich aus meinem Schneckenhaus herausgetraut.
Jetzt verfasse ich diesen Artikel. Trotze all dem Rotz, der nach wie vor wegen Verlag
Beta in mir vorgeht, versuche Alpha weiterhin zu verarbeiten, all die nicht sonderlich
netten Absagen nicht an mich heranzulassen. Vielleicht stimmt es, was sie sagen.
Vielleicht kann ich nicht schreiben. Vielleicht werde ich nie wieder veröffentlicht.
Na und?
Ich schreibe trotzdem.
Weil. Es. Mich. Glücklich. Macht.
Und wegen nichts anderem.